Reisetagebuch der SY "NADINE"

GB Uli Hering



03.11.2010

Marina Rubicón/Lanzarote,
Liebe Gildeschwestern, liebe Gildebrueder,

Vorgeschichte:
Die Planung der Reise bis zu den Kanaren stand unter dem Vorbehalt meiner Frau, zwei im Vorjahr in Cuxhaven erlittene Wirbelfrakturen "verkraften" zu können, nachdem aus diesem Grund die in 2009 bereits geplante Reise geplatzt war und wir an unseren Winterliegeplatz zurückfahren mussten. Nautische Unterlagen, Seekarten und Bücher, sowie ein Großteil des gebunkerten Proviants blieb einfach an Bord im eisfreien Wasser - nicht einmal der Rotwein hatte Schaden genommen -, bis wir im Mai des Folgejahres in eisiger Kälte wieder starten konnten. Zuvor hatten wir das Schiff unter Wasser gestrichen, unsere Ausrüstung und Sicherheitseinrichtungen (s. Logbuch, Sicherheitsrichtlinien der KA) überprüft und ergänzt, Rettungsinsel und Gasanlage vorzeitig abermals checken lassen und die Yachtversicherung gewechselt, die ihr o.k. gegeben hatte und den Vertrag über sailmail-Ankündigung (Kurzwelle mit Pactor) unterwegs nachschicken wollte. Da unser Schiff ein Aluminiumbau der Feltzwerft in Hamburg ist und wir für den Innenausbau und die Ausrüstung selbst zuständig waren, besitzen wir keinen Kaufvertrag für ein Fertigprodukt, und da wir mit dem Schiff 2007 in Spitzbergen waren, wurden viele Dinge anders konstruiert als auf einer Serienyacht. So haben wir zum Beispiel alle Luken und Bulleyes als Doppelscheiben ausgeführt. Das kostete uns nun einen längeren Zwangsaufenthalt in Cuxhaven. Denn jetzt hatte die Versicherung sich entschieden, dass das Schiff einem vereidigten Sachverständigen vorgestellt werden müsse, der für viel Geld ein bei der Versicherung einzureichendes Gutachten erstellt. Die Besichtigung verlief dann recht kurz, wobei nicht eine der drei vorhandenen Lenzanlagen ausprobiert wurde oder an einem der schweren Edelstahlventile der Fäkalanlage der Hebel umgelegt wurde. Trotz des wie immer freundlichen Empfangs bei TO warteten wir in Cuxhaven mit sehr gemischten Gefühlen.

Reiseverlauf:
Wie bei fast allen Reisen der letzten Jahrzehnte starten wir mit ablaufendem Wasser in Cuxhaven (27.5.), um von Helgoland aus - Schritt für Schritt, wie wir diesmal sehr vorsichtig sagen - den Atlantik zu erreichen. Der Hafen ist für Helgoländer Verhältnisse noch ziemlich leer, und gern nehmen wir als Innenlieger auf Platz B die Leinen eines müden Holländers an unserer Seite wahr.

Leider besitzt er so gut wie keine Fender. In der Nacht zum 30. dreht der Wind kräftig auf Süd, und aus der Hafeneinfahrt steht die Welle von querab. Ich bringe alle eigenen Fender aus, kann aber nicht verhindern, dass die holländische Yacht ihre Rumpffarbe in unsere Bordwand malt. Um die Schläfer wach zu bekommen, hätte ich wahrscheinlich Explosivstoffe einsetzen müssen.

Es ist diesig, feucht-kalt und nass mit ständigen Regenschauern, doch als sich im "Rückseiten-Wetter" ein frischer Nordwind durchsetzt, laufen wir aus (31.5.). Die Co-Skipperin ist seekrank, wie meist bei Reisebeginn, doch blauer Himmel und 7,5 kn Fahrt lassen Freude aufkommen. Wir sind als Nordlandfahrer viele Jahre diesen Weg über die südliche Nordsee nicht mehr gesegelt und erstaunt über die Verkehrsdichte. Gleichfalls erstaunt sind wir über die Kälte der Nacht und entschließen uns schrittweise, unsere mitgeführte Spitzbergen-Wäsche zum Einsatz zu bringen. Während die Barentssee im Sommer mit 3°C Wasser aufwartet, konkurriert jetzt die Nordsee mit 5°C. Bei Vlieland queren wir den Verkehrsweg nach "innen" und finden uns in dichten Nebelwalzen wieder. Dazu bleibt aus dem Tagebuch nur der einzige Kommentar: "Wunderbares Radar!"

Den Helder erreichen wir am Nachmittag unter Maschine, nachdem sich mit dem Nebel auch der Wind verabschiedet hat. Nahe unserem sailmail-Server-Sender Brügge müssen wir als begeisterte sailmail-Kommunizierer wieder die Erfahrung machen, dass der Sender wie im letzten Jahr während der Saison überlastet ist ("occupied"). Statt am 2.6. werden wir unsere 7 Mails erst im Morgengrauen des 4.6. los. In Den Helder können wir aber unsere kleinen Geschenke an die Lieben daheim - u.a. eine Havanna-Zigarre - auf der Post loswerden, was in Helgoland mit Schwierigkeiten verbunden gewesen wäre.

Wieder laufen wir mit Hochwasser aus (3.6.). Der Himmel ist wolkenlos, nur unter Genua bei achterlichem Wind freuen wir uns, die "Mitläufer" hinter uns zu wissen. Um 4 Uhr rufen wir Maasmond Control an und bekommen Passiererlaubnis, aber "full speed with your engine!" Der Verkehr ist atemberaubend und die erleuchteten Industrieanlagen zeigen sich mit einer futuristischen Silhouette. Arme Einhand-Segler!

Mit ausgebaumter Genua schlängeln wir uns zwischen den Sänden durch und auf die Hafeneinfahrt von Oostende zu (4.6.). Kurz nach 18 Uhr laufen wir hinter einer großen Fähre ein und bedauern in dem City-fernen RYC Oostende, nicht die wunderbare Mercator-Marina in der Innenstadt aufgesucht zu haben. Drückende Schwüle mit fast 30°C, in der Folgezeit Starkwind mit Gewitterböen aus West und Regen lassen uns glauben, das Ende des Winters erreicht zu haben. Wir nehmen die Stegdoppelplatten unter unseren Luken ab. Am Strand ameisenhafter Badebetrieb - was es da in Cuxhaven zu kassieren gäbe! Die Beton-Wohnburgen an der Wasserfront sind nicht als sozialer Wohnungsbau gedacht, sondern, so der Hafenmeister, als Luxusbleibe.

Am 8.6. verlassen wir bei West- bis NW-Wind zwischen 5 und 0 und Regen den Hafen und laufen abends in Dunkerque ein. In den Alu-verkleideten Häusern hinter der Marina spiegelt sich die untergehende Sonne. Ohne Wind, bei Dunst und Regen geht es nach Boulogne (9.6.), erst kurz vor dem Hafen können wir ein wenig segeln. Hinter der riesigen Hafenmauer wartet eine schöne Marina mit zu engen Stegen für unser Schiff auf uns und in der Folgezeit der Zoll, der uns in militärischer Eingreifstärke an Bord seine Aufwartung macht. Alles geht in höflichem Französisch im Salon vonstatten, ein Übersetzer passt trotzdem auf und die Schwerbewaffneten halten vor dem Schiff Wache. Voller Zuversicht öffne ich den "Aktenschrank" und präsentiere, was immer das Behördenherz verlangen mag. Und dann das Vergehen, das uns eigentlich auf die "Teufelsinseln" von Französisch-Guayana hätte bringen müssen: Statt im Original ist unser Schiffszertifikat des Amtsgerichts Charlottenburg nur in Kopie an Bord. Aber Glück im Unglück: die 2.000 Euro Strafe werden uns erlassen und wir dringend aufgefordert, besagtes Dokument für die nächste Kontrolle im Original bereitzuhalten. Das kostet uns eine Menge teures Hafen-Liegegeld in Cherbourg, wohin unser Freund nach Durchsuchung unserer Berliner Bleibe das Dokument nachsenden muss. Ich nehme vorweg, dass auf der ganzen weiteren Reise kein Mensch nach diesem Original gefragt hat, und das nicht einmal in Portugal mit der größten Bürokratiedichte Europas.

Boulogne ist gleichwohl eine schöne und sehenswerte Stadt. Als römisches Basislager für die Eroberung Britanniens vor 2000 Jahren gegründet ist ein Gang über die Wehrmauer um die Altstadt selbst bei Dauerregen interessant. Ein Sturmtief zwingt zum Bleiben.

Nach einem Wechsel des Boxenplatzes, der uns ein Auslaufen bei allen Wetterlagen erlaubt, verlassen wir bei schwachem Wind den gewaltigen Hafen (14.6.). Die volle Besegelung weicht bald einer doppelt gerefften Groß. Mit Strom und 6 Windstärken backstags laufen wir erst 7 bis 8 kn, dann 12,5 kn in der Spitze. Dafür bringt uns der Gegenstrom auf 3,7 kn runter. Zu sehen sind keine Segler, keine Küstenansicht, keine Schiffe. Es ist kalt und nach Mitternacht richtig dunkel - wir können das nachtlose Spitzbergen nicht vergessen. Querläufer der Kreuzseen klatschen über unsere Köpfe hinweg, ohne in der Plicht zu landen. Scheußliche Nacht!

Nach 23 Stunden und 151 sm erreichen wir morgens (15.6.) die Westeinfahrt von Cherbourg. Hier warten wir auf unser Dokument und löhnen 35,60 Euro pro Tag für unser Schiff. Wir hatten in Frankreich in 2002 in einem "Formel-1-Hotel" 30,- Euro für ein Zweibettzimmer mit Frühstück bezahlt und erhalten jetzt am Steg weder Bett noch Frühstück. Aber auch hier ist die Stadt einen längeren Aufenthalt wert. Neben der schönen Innenstadt sind die Zeugnisse unserer Altvorderen sehr eindrucksvoll. Das Fort du Roule mit dem Musée de la Libération kannten wir von einem früheren Besuch, jetzt war "Les Galeries 117" auf dem Berg neu eröffnet worden, wo der Besucher durch Tunnel zu vier ehemaligen deutschen Geschützbatterien geführt wird. Die Sinnlosigkeit von Krieg wird augenfällig.

Am Tag der Sonnenwende (21.6.) verlassen wir um 6 Uhr bei leichtem Westwind den Hafen. Pünktlich zum Kentern des Stroms stehen wir beim Kap La Hague mit seiner monströsen Atommüll-Wiederaufbereitungsanlage. Bei glatter See und ohne Wind erreichen wir die faszinierende Ankerbucht Gosselin an der Kanalinsel Sark. Wir können eine Muring nehmen, müssen uns jedoch mit einer Zweiten quälen, die immer wieder unser Heck malträtiert. Das bringt viele Probleme mit sich, weil die zahlreichen Besucher der Bucht das Muringproblem nicht erkennen und uns am Ende zu einer "Muringwache" mit dem Bootshaken zwingen.

Mit dem Schlauchboot fahren wir an Land, tragen es viele enge Treppen über die Hochwassermarke hoch und steigen zum Pilcher-Monument, das an die Ertrunkenen von 1868 erinnert, auf den Berg. Der Aussichtsplatz hoch über den Yachten ermöglicht uns ein schönes Sonnenwendpicknick. Eine Wanderung zur anderen Seite der Insel vermittelt uns mediterrane Atmosphäre, der "Supermarkt" weniger, denn er nimmt keinen Euro, sondern nur den Kanal-Sterling.

Am 24.6. brechen wir wieder auf und erfreuen uns in Landnähe von Guernsey an vielversprechendem Segeln. Doch das Hoch liegt über uns, in der zweiten Tageshälfte und in der Nacht wird die See spiegelglatt. Eine grandios befeuerte bretonische Küste und eine helle Mondnacht machen die Motorfahrt erträglich. Den Canal du Four erreichen wir pünktlich nach Stromkenterung - ohne Wind ist die Passage kein Abenteuer. Wir steuern den hübschen "Außenhafen" Camaret sur Mer an und sehen, wie dort die Engländer vom Zoll gefilzt werden. Nein, nicht schon wieder...

Also fahren wir weiter nach Brest und gehen mittags in die neue, großzügig angelegte Marina du Château, die vom Militärhafen abgezweigt worden ist und in Citynähe liegt. 3 weitere Tage bleiben wir dort, verrichten einige Bordarbeiten und können Wäsche waschen, gehen Einkaufen und besichtigen die Stadt. Am 29.6. verlegen wir, nachdem der Nebel und der Zoll gewichen sind, wieder nach Camaret sur Mer und gehen an eine Muring des großzügig angelegten Muringfeldes.

Häufiger SW-Wind, vor dem wir sehr geschützt liegen, und eine äußerst interessante raue Küste machen uns den Aufenthalt leicht. Wir wandern zum Leuchtturm Toulinguet, besichtigen die Ruine des Herrenhauses des Dichters Saint Pol-Roux und das Monument "Atlantikschlacht" am Pte. Pen-Hir. Außerdem schlägt Deutschland Argentinien im Viertelfinale mit 4 : 0.

Sobald sich der NW-Wind durchgesetzt hat, lösen wir die Leine von der Muring (5.7.). Die Chaussée de Sein ist wie erwartet holprig, abends stehen wir an der Ansteuerungstonne und können auf Raumwind abfallen: nur noch 300 sm bis Cabo Prior in Galizien! Am Morgen des 6.7. ist der Wind weg, erst am nächsten Tag (7.7.) - sieht man einmal von zwei Stunden erfolglosen Segelversuchen ab - können um 06.45 Uhr bei östlichen Winden die Segel wieder gesetzt werden. Am Abend dieses dritten Tages bergen wir die Genua, damit wir nicht in der Dunkelheit der schwarzen Nacht in El Ferrol an der spanischen Nordküste ankommen, die im Dunst schon vor uns liegt. Nur mit der gerefften Groß passieren wir um 2 Uhr Cabo Prior.

Es ist noch dunkel, als wir den riesigen neuen Wellenbrecher am Ria-Eingang nach El Ferrol passieren. Weder in der (älteren) Papier-, noch in der digitalen Seekarte ist er verzeichnet. Vor dem kleinen idyllisch gelegenen Yachthafen La Graña gehen wir vor Anker (8.7.). Wir sitzen am Frühstückstisch, als das heraufziehende Gewitter mit Sintflut-Regengüssen losbricht. Ankommen ist das Schönste! Drei weitere Tage bleiben wir hier vor Anker, reparieren eine Pumpe, schwimmen um das Schiff und besichtigen El Ferrol, eine imposante moderne Stadt mit einem großen Marinehafen - aber keinem geeigneten Yachthafen. Unsere spanischen Freunde haben diesen Besuch bewirkt. Als Spanien gegen Deutschland Fußballweltmeister wird, bekunden wir unsere Sympathie mit dem Signalhorn an Bord.

Am 12.7. verlegen wir bei Westwind mit ständigen Regenschauern in die riesige neue Marina von La Coruña, die etwa zu einem Drittel gefüllt ist. Hier gilt es, den Kampf gegen ein weiteres Problem aufzunehmen. Unsere erste, inzwischen leere, 11 kg Alu-Gasflasche kann nicht mehr gefüllt werden - trotz Angabe der Füllstelle in einer TO-Zeitung. Der deutsche Hersteller Alugas teilt per Mail mit, dass anders als in anderen europäischen Ländern die Monopole in Spanien und Portugal nur noch ihre eigenen Flaschen (mit anderen Anschlüssen) füllen. Nun heißt es Umsteigen auf das fünffach teurere Campinggas in den kleinen blauen Flaschen. Dazu muss die Gaskiste umgebaut und ein passendes Ventil für die neuen Flaschen besorgt werden. Allein die Beschaffung von Sperrholz aus einem Baumarkt - mein Wörterbuch kennt "Sperrholz" nicht - impliziert bereits eine unfreiwillige Stadtrundfahrt. Bis zum 22.7. werden wir in der Stadt festgehalten, wobei wir uns einen "freien Tag" mit Besichtigung des Weltkulturerbes "Torre de Hercules", eines ersten europäischen Leuchtturmes, regelrecht abringen müssen.



Am 23.7. setzen wir am Torre de Hercules die Segel und lassen einen gerefft fahrenden Katamaran hinter uns zurück. Wir merken allerdings bald, dass wir zu viel Tuch tragen und nehmen die Genua weg: diese Küste hat keinen guten Ruf! Nach 9 Stunden und 65 sm erreichen wir Kap Finisterre. Kaum um die Ecke werden wir in Erwartung des Schutzes vor dem starken NO-Wind kräftig desillusioniert. Überall fällt der Wind mit Hohngelächter von den Bergen herunter. Wir folgen der Empfehlung im Reeds - den man gar nicht genug loben kann, in jeder Hinsicht - und gehen in der Seño de Corcubión vor einem hübschen Fischerhafen vor Anker. Ein Engländer tut es uns am nächsten Tag gleich, wirft den Anker und verlässt mit seiner Familie das Schiff. In der Nacht hat er mehr Glück als Verstand, denn das auf Drift gegangene Schiff bleibt am Ausgang der Bucht irgendwo hängen. Vom Hafen aus kann er es in der Dunkelheit nicht mehr sehen.

Vigo steuern wir am 25.7. an: hier hatten wir unser Schiff schon mal ein Jahr lang zurückgelassen. Jetzt werden wir wie durch eine warme Düse geblasen und landen in der modernen Marina Davila Sport in Vigo-Bouzas, leider am hässlichsten Ende der Stadt. Ein alter Bekannter und die Verschönerung der Stadt im Zentrum lassen aber negative Eindrücke verblassen. Eine unglaubliche Fliegen-Invasion bekämpfen wir mit einer Fliegenklatsche, die ein wahres Jagdfieber auslöst. In der Folgezeit helfen im Salon aufgehängte Wasserbeutel - kein Witz!

Unter Maschine verlegen wir am 28.7. nach Bayona, wobei wir Schwierigkeiten haben, die passende Insel-Durchfahrt zu finden, auf Papier und digital. Hinter der großen Mole gehen wir an eine Muring des exklusiven Segelclubs. Bayona könnte man als das Sylt Spaniens bezeichnen. Es ist so schön hier, dass man sich beim Abendessen in der Plicht nur schwer vom Anblick des Sonnenuntergangs hinter dem Parador und dem Mondlicht über den Häusern und bewaldeten Berghängen losreißen kann. Um das Castello mit dem Parador führt ein wunderschöner 1995 eingerichteter Strandweg.

Wir verlassen Bayona (3.8.) mit wenig Wind und unangenehmen Seegang und folgen der Küste nach Süden. Doch bald bläst es wieder eindrucksvoll aus Nord. Hinter der Grenze zu Portugal bietet sich als erster Hafen das von uns bereits früher besuchte Viana do Castelo an. Als wir um die große Mole in den Fluss einbiegen, haben wir das Gefühl, in die Hitze einer geöffneten Hochofentür zu fahren. Wir halten gegen den Glutwind und bergen das Großsegel. Dabei werden wir wie von einem Bienenschwarm von Kitern und Surfern in der Fahrrinne umkreist. Da hilft nur: Augen zu und durch!

Der kleine Yachthafen der Stadt ist proppenvoll, ein Steg im Fluss neben der Hafeneinfahrt erlaubt das Liegen im Päckchen. Die Stadt hat sich positiv verändert, viel Geld ist in die Bausubstanz gesteckt worden und hat neben der Erhaltung schöner alter Gebäude auch viel unsinnigen modernen Leerstand produziert. Ein riesiges Hafenmeisterbüro war eigentlich als Schwimmbad geplant. Am nächsten Tag wird der Fluss mit der Hafenzufahrt gesperrt, weil ein spanisches Löschflugzeug neben unserem Liegeplatz anfliegt, Wasser aufnimmt und durchstartet. Wir schauen in die Gesichter der beiden Piloten. Überall ist der Himmel von Waldbränden verdunkelt, an Deck liegt die Asche. Kaum hat das Flugzeug gelöscht, brennt es an der gleichen Stelle am nächsten Tag wieder, denn abgebranntes Land ist, so der Hafenmeister, "billiges Bauland".

Mit der "Funicular" fahren wir zur Basilika "Santa Luzia" auf den Berg über der Stadt. Man hat einen herrlichen Blick über die Küste, es ist superheiß. Während es auf dem Berg windstill ist, sind auf der See Schaumkronen zu sehen. Das verhilft uns am 6.8. zu einem schönen Segeltörn nach Leixões, dem Hafen von Porto. Pünktlich nach 13 Uhr geht es wie alle Tage mit NE 6 zur Sache. Den Hafen laufen wir an, weil wir von hier aus Coimbra, die alte berühmte Universitätsstadt, besuchen wollen.

Am Sonntag (8.8.) nehmen wir den Zug nach Aveiro, dann nach Coimbra. Die Universität wurde 1290 in Lissabon gegründet, sie beherrscht den Altstadthügel. Ein Wunderwerk ist die Bibliothek von 1750 mit 200.000 Folianten: hier hätte der Film "Der Name der Rose" gedreht werden können.

Der Versuch, sich in Portugal mit mehr als 200 Euro pro Auszahlung am Automat auf der Straße zu versorgen, scheitert kläglich. Immer wieder wird in den Banken beteuert, man habe keine Lesegeräte für fremde Karten. So werde ich nach Porto gelotst, weil die Santander-Bank dort angeblich eine Zentrale mit Lesegerät besitzt. In einem Prachtbau königlichen Ausmaßes empfängt mich schließlich der Chef. Nein, nur auf der Straße gibt es höchstens zweimal 200 Euro, es sei denn, ich begebe mich in das Spielcasino. Ich begebe mich statt dessen zur Deutschen Bank und erfahre dort, dass man keine Geschäftsbeziehungen nach Deutschland unterhält. Später, in Alcantara, dem Gästehafen von Lissabon, kann man auch nicht mehr mit der Visakarte bezahlen. Wenn es bar nicht geht, muss man im Besitz von "American Express" sein. Und noch später, auf Lanzarote, wird auf eine Kartenzahlung 2% aufgeschlagen - aus Sicherheitsgründen! Wir hatten gedacht, im Euroraum sei alles einfacher als früher geworden.

Der Wetterbericht spricht von Nord 4 bis 5, als wir wieder auslaufen (11.8.). Wir wollen bis Peniche durchsegeln, denn wir machen bald gute Fahrt. Der eigentlich wolkenlose Himmel ist diesig und wird am Nachmittag schlagartig von einer milchigen Wolkendecke verhüllt. Es wird unangenehm feucht, die tiefliegenden Dunstwolken jagen wie im Zeitraffer über uns hinweg. Nur unter Groß läuft das Schiff mit mindestens 5 kn in die pechschwarze Nacht. Die Fischerfähnchen, die bis weit vor die Küste reichen, sind nicht zu sehen. Nieselregen setzt ein, die Feuer vor Peniche bleiben unsichtbar. Schon im Radar war auszumachen, was bald vor unseren Augen auftaucht: ein grell beleuchtetes Fahrzeug - ein Fischer? Da es keine Fahrt durchs Wasser macht und keine Positionslichter zeigt, wollen wir es ohne Kursänderung passieren. Im nächsten Moment schießt das Fahrzeug - eine Yacht, die gerade das Großsegel gesetzt hat - auf uns zu. Wir segeln unter Bullenstander mit schneller Fahrt vor dem Wind. Wir riskieren eine Patenthalse, hören es schon krachen und weichen zur falschen Seite hin aus. Zwei Meter neben unserer Bordwand dreht der Geisterfahrer ab. Von der eigenen Decksbeleuchtung geblendet hat er unsere D reifarbenlaterne nicht gesehen und macht seinem Ärger mit dem Signalhorn Luft, während wir wie ein Gespenst in der Nacht verschwinden. Das war knapp! Auch hier wird wie beim Ankerlicht im Topp deutlich, dass die Dreifarbenlaterne, so stromsparend sie auch sein mag, im Nahbereich äußerst problematisch ist.

Als wir mit der ersten Dämmerung im Nieselregen einlaufen (12.8.), ist der Gästesteg defekt, hat keine Klampen und ist gesperrt. Ein freier Platz findet sich am Kopf eines Klubsteges. Kaum haben wir begonnen, ein wenig Nachtschlaf nachzuholen, hören wir das uns von 1993 vertraute und damals gebetsmühlenartig wiederholte "You cannot stay here!" Wir verholen an eine Muring an der Hafeneinfahrt. Der Wetterbericht kündigt Nord 6 bis 8 an. Das mit gelben Tonnen markierte Muringfeld zieht die ein- und auslaufenden Fischer magisch an: sie kacheln mit Höchstfahrt durch das Feld und können bei zehn Meter Abstand von den vertäuten Yachten auch gut die Heimathäfen ablesen. Auf dem Weg nach Cascais, dem Nobelvorort von Lissabon, leiden wir wieder einmal unter Windmangel und unangenehmer Altwelle (14.8.). Kurz vor Erreichen des Tejo, Lissabons Wasserader, wird die Hochofentür wieder aufgemacht und 7 Windstärken fallen in die ungereffte Genua. Wir gehen bei 5 Bf. in Lee vom Badestrand zwischen unzähligen Ankerliegern, die die hohen Hafengebühren zu scheuen scheinen, vor Anker.

Gegen die Tide dieseln wir mit 3,2 kn am 16.8. nach Alcantara - eine nautische Nachlässigkeit! Vor der Einfahrtspier liegt ein US-amerikanisches Kriegsschiff, an dem geschweißt wird. Ein mit gelben Tonnen markierter Sicherheitsabstand um das Schiff verhindert jegliche Annäherung. 5 Tage bleiben wir in Lissabon, verproviantieren uns für die Fahrt zu den Kanaren, machen zwei informative Stadtrundfahrten mit dem "Yellow Bus" und sind von dem inzwischen neu entstandenen Weltausstellungsgelände mit seiner futuristischen Stadt hellauf begeistert. Als wir 1993 hier waren, steckten viele Sehenswürdigkeiten unter den Bauplanen der Restaurierung.



Monsantoradio verkündet über Navtex, dass vor Cascais das Ankern wegen Feuerwerk verboten ist. Also tanken wir noch in Belem, als die Wassertankstelle gerade geöffnet wird, und starten zu einem unserer schönsten Segeltage (22.8.) bei NNW 3 - 4. In Sines, der Geburtsstadt Vasco da Gamas, hatten wir 1993 im Südsturm an der Seite eines Fischers gelegen und von der Stadt nichts gesehen. Jetzt finden wir eine schöne Marina hinter einer neuen Hafenmauer vor, eine weiße Stadt am Berghang mit maurischem Touch und einen unverbaubaren See- und Hafenblick vom Schwimmsteg aus. Das Geburtshaus von Vasco da Gama sollen wir im Castelo besuchen, finden es aber vermittels einer Tafel an einem Stadthaus mit weitem Seeblick und im Castelo eine interessante Ausstellung über die Stadtgeschichte von der Steinzeit bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts. Dies versöhnt uns mit dem Aufwand der Einklarierung, der in seinem bürokratischen Ausmaß etwa dem deutschen Aufwand bei einem Hauskauf entspricht.

An der Algarve - wo unser ehemaliges Schiff auch schon mal überwinterte - sind laut Reeds die Hafengebühren für uns auf bis zu fast 70 Euro gestiegen - pro Tag und nicht pro Woche! Aus diesem Grund verzichten wir auf ein Wiedersehen mit der "reichen" portugiesischen Südküste, holen vom DWD eine in ihrer Genauigkeit bestechende "Individuelle Wetter- Routenplanung" ein und segeln am 27.8. in die Ankerbucht von Sagres. Beim Runden des Kaps São Vicente empfängt uns der Norwind mit 7 Stärken unter einem herrlichen Sternenhimmel. Ein Orkantief nordwestlich der Azoren (!) wollen wir doch erst vorbeilassen, auch wenn es uns nicht besuchen will. Die Ankerbucht füllt sich.

Wir gehen am 28.8. um 8.30 Uhr ankerauf. NW 4 mit Dunst und Nebelschwaden lässt die europäische Küste bald entschwinden. Gegen Mittag können wir im Radar mehr als 10 Schiffe querlaufend ausmachen. Nach der Straße von Gibraltar wird es zunehmend einsamer. Es folgen 5 Tage und 4 Nächte auf See, die von der Bordroutine bestimmt werden - nachts lösen wir uns alle zwei Stunden ab. Vorherrschend ist ein schöner Nordwind, doch das Schiff rollt, dass wir an eine Bewerbung bei einer Artisten-Zirkusgruppe denken. Die Arbeit auf dem Vorschiff beim Ausbringen eines Baumes ist ein Schleudererlebnis, das Einpiken in Strecktaue unbedingt empfehlenswert. Dann das übliche Segel-rauf, Segel-runter, wie der Wind es erfordert. Tagsüber besucht uns ein kleiner Vogel und ruht sich auf der in der Flaute ausgekuppelten Windfahnensteuerung aus. Beim Abflug zwitschert er vergnügt. Nachts bei noch immer sichtbarem Mond an einem schönen Sternenhimmel entfällt die Kontrolle des Kompasses: der genau steuernde Windpilot lässt ein Sternbild immer in der gleichen Peilung vor und zurück schwenken. Entspanntes Segeln. Um Mitternacht pfeift ein Witzbold (?) auf Kanal 16 Lieder in das Mikrophon.

Am letzten Tag vor dem Landfall auf Alegranza (2.9.), einer kleinen Felseninsel nördlich von Lanzarote, weicht uns ein kleiner Tanker aus Macão auf seinem Kollisionskurs großräumig aus. Davon sind wir so gerührt, dass wir uns über UKW bedanken. Spontan kommt die Antwort und "...have a good watch!" Die brauchen wir nicht mehr, als wir um 19 Uhr neben 3 anderen Yachten in einer wunderschönen lagunenartigen Bucht zwischen Graciosa und Lanzarote vor Anker gehen. 538 sm von Ankerplatz zu Ankerplatz liegen hinter uns.


Marina Rubicón an der Südküste der Insel

Graciosa mit seinen Dünenstränden erinnert an die Sahara, der Ankerplatz gilt als einer der Schönsten der Kanaren. Auch einen Vulkankegel kann man besteigen, wir nennen ihn angesichts unserer langsamen und schweißtreibenden Kletterei den "Rentner-K2". Am 6.9. reißen wir uns von unserem Anker- und Badeplatz los und segeln an der Ostküste von Lanzarote, einer baumlosen Vulkanlandschaft mit unzähligen weißen Hauskuben, nach Puerto Calero, einem in Deutschland empfohlenen Hafen, in dem man sein Schiff sicher allein liegen lassen kann. Die Marina befindet sich in einer schönen Umgebung, doch hinter den angepflanzten Palmen ist das Nichts zu Hause und schon der Lebensmitteleinkauf ein Problem. So nehmen wir unseren vorläufig endgültigen Liegeplatz in der nicht weniger sicheren und nicht weniger schönen Marina Rubicón an der Südküste der Insel ein (9.9.). Hier stimmt alles, von der Verkehrsanbindung, über das Ambiente bis zum Liegegeld. Hier sind wir auch nicht allein, denn alle ARC-Teilnehmer scheinen vorbeischauen zu wollen. Während sich in Deutschland die Temperaturen dem Nullpunkt annähern, kann man sich im Marina-eigenen Süßwasserschwimmbad abkühlen. Es ist schön, hier zu sein.

Herzlich gruessen Euch Ilse & Uli Hering.